MÄRZ 2025 / TIPPGEMEINSCHAFT – JAHRESANTHOLOGIE DER STUDIERENDEN DES DEUTSCHEN LITERATURINSTITUTS LEIPZIG

- erscheint am 29.03.2025

JUNI 2023 / TIPPGEMEINSCHAFT ZINE (limitierte Ausgabe)

(...)

Die Geschichte ist kurz, denn so ist das Leben.

Das Ende ist schon zu sehen.

Ende.

von Iven Yorick Fenker

(vergriffen/ sold out)

APRIL 2023 / TIPPGEMEINSCHAFT - JAHRESANTHOLOGIE DER STUDIERENDEN DES DEUTSCHEN LITERATURINSTITUTS LEIPZIG

WIR SEHEN UNS MANCHMAL ÄHNLICH

Tippgemeinschaft

Ich bin David Beckham.

Mein Bruder sagt: Nein, ich bin David Beckham.

Ich aber sage: Ich bin David Beckham.

Mein Bruder sagt: Na gut. Dann bin ich Francesco Totti.

*

Im Gegenlicht des Mondes sind die Umrisse des Brockens zu sehen. Fledermäuse fliegen durch die Nacht. Wir sitzen im Wohnzimmer und schauen in die Dunkelheit. Die Bäume stehen still. Es geht kein Wind. Papa schenkt mir einen Schluck Bier ein. Der Fernseher läuft. Der Ton ist aus.

*

Der Vater meines Vaters hat meinen Vater als Kind in das Volksparkstadion mitgenommen und heute fährt mein Vater mit uns dort hin. Hamburg spielt ein Derby und wir sind auf der Autobahn.

*

Der Garten meiner Kindheit ist verwachsen. Ich hole die Sense aus der Scheune und schlage zu. Es riecht nach Brennnesseln und Minze, meine Hände sind gereizt, die Handschuhe haben Löcher. Ich schlage Schneisen in die ausufernden Hecken und versuche die Sauerkirschbäume freizukämpfen. Die Motorsäge ist zu laut für Sonntag. Hinter dem Dickicht, das zu den Nachbarn hin wächst, weht eine Deutschlandfahne. Unter dem abgeholzten Buschwerk finde ich eine Pausenbrotdose aus verblichenem scharlachrotem Plastik.

Auf der Terrasse liegt ein toter Vogel. Mit der Mistgabel räume ich Schnittwerk, Laub und Unkraut auf den Carport. Aus den stärkeren Ästen säge ich Brennholz.

*

Möchtest Du noch Himbeertraum? fragt meine Tante ihre Schwester. Meine Mutter sagt: Nein, sonst erschlägt mich mein Herz. Mein Onkel sagt: Jetzt eine Stunde schlafen.

(...)

DEZEMBER 2022 / NERV MAGAZIN

nicht erschrecken… bei den Kinderwagen vor den Briefkästen liegt eine tote ratte

14:02

UNSEREM TREPPENHAUS OBLIEGT DAS VERWAHREN

Treppenhaus

(von:)
-1(?) Ratte
- (letztens hat sie noch gelebt)
- aber von vorne
- und vom Betreten des Hauses und dem Zudrücken der Türe, mal ausgegangen, in den Hausflur hinein, auf dem Weg zum Treppenhaus,
- von unten nach oben, also:
- immer wieder ein Rascheln
- die Ratten
- (nur sichtbar, wenn tot)
- die durchnässte Pappanhäufung, die in Wellen vergeht, verkrümmt und zu Pappmaschematsch wird neben der Eingangstür
- ist sie nun zu?
- daneben das Loch im Boden, in dessen tiefen Schwärze
- wer weiß was liegt
- kriecht fleucht leuchtet

Wie sind die denn reingekommen? Denke die Haustür is wieder repariert?

15:30

(...)

NOVEMBER 2022 / EIN HARZER FROSCH AM WASSERREGAL - ANTHOLOGIE ZUM 4. LITERATURPREIS HARZ

DORNEN DONNER STOßGEBET

Dornern Donner

Eine Kindheit lang in den ausgetrockneten Ackerfurchen ohne Furcht. Die Tritte in den Boden, der aufgewirbelte Staub, der sich zum Abend hin legt und uns in Schweigen hüllt. Der Fernseher läuft. Der Ton ist aus. Der Atem geht schwer.

Auf dem Bolzplatz wächst kein Rasen mehr. Es ist zu oft Schützenfest. Das Desinfektionsmittel spült den Schotter aus den aufgeschlagenen Knien. Der Fanfarenzug marschiert durchs Oberdorf. Vom Hang herunter hallt der Tumult. Schüsse durchdringen die Nacht. Es wird nicht dunkel, bevor es Morgen wird.

Mein Fußballtrainer brüllt immer noch Dschin Dschin Dschinghis Khan und haut die Dinger ins Gestrüpp, wo die Dornen die Bälle platzen lassen. Er sagt, wir sollen den Kugeln hinterherjagen. Er sagt auch: Nehmt die Bügeleisen aus den Schuhen – der Kunstrasen schmilzt. Das Geräusch ist einschneidend, wenn das von der Sonne strapazierte Leder auf die spitzen Dornen trifft. Auf dem Rückweg vom Training wirft er die Big-Mac- Schachtel aus dem heruntergekurbelten Fenster. Aber sag das nicht deinem Vater, sagt er. Mein Vater ist bei den Grünen oder wie er sagt: Dann müsst ihr halt zu Fuß laufen.

(...)

FRÜHLING 2022 / PROCESS*IN MAGAZIN

WIR SEHEN UNS MANCHMAL ÄHNLICH

processin

Ich bin David Beckham.

Mein Bruder sagt: Nein, ich bin David Beckham.

Ich aber sage: Ich bin David Beckham.

Mein Bruder sagt: Na gut. Dann bin ich Francesco Totti.

*

Im Gegenlicht des Mondes sind die Umrisse des Brockens zu sehen. Fledermäuse fliegen durch die Nacht. Wir sitzen im Wohnzimmer und schauen in die Dunkelheit. Die Bäume stehen still. Es geht kein Wind. Papa schenkt mir einen Schluck Bier ein. Der Fernseher läuft. Der Ton ist aus.

*

Der Vater meines Vaters hat meinen Vater als Kind in das Volksparkstadion mitgenommen und heute fährt mein Vater mit uns dort hin. Hamburg spielt ein Derby. Nur das Stadion heißt anders.
Vor dem Spiel fahren wir zu dem Sozialbaukomplex in dem mein Vater im Sommer immer seine Großeltern besucht hat, weil Papa schauen will ob dort immer noch die Familie Knackarsch wohnt. Er kennt keinen der Namen auf den Klingelschildern mehr und es ist Winter.

*

Der Garten meiner Kindheit ist verwachsen. Ich hole die Sense aus der Scheune und schlage zu. Es riecht nach Brennnesseln und Minze, meine Hände sind gereizt, die Handschuhe haben Löcher. Ich schlage Schneisen in die ausufernden Hecken und versuche die Sauerkirschbäume freizukämpfen. Die Motorsäge ist zu laut für Sonntag. Hinter dem Dickicht, das zu den Nachbarn hin wächst, weht eine Deutschlandfahne. Unter dem abgeholzten Buschwerk finde ich eine Pausenbrotdose aus verblichenem scharlachrotem Plastik.
Auf der Terrasse liegt ein toter Vogel. Mit der Mistgabel räume ich Schnittwerk, Laub und Unkraut auf den Carport. Aus den stärkeren Ästen säge ich Brennholz. In diesem Haufen liegt ein Nest.
Die weißen Sneaker wasche ich im Expressprogramm und trockne sie mit zwei Föhnen, die immer wieder heißlaufen. Es riecht verbrannt.

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SEPTEMBER 2021 / EJECT - ZEITSCHRIFT FÜR MEDIENKULTUR / EDITION XI - FOREVER HOME

AM HAINBERG LIEGT DER DOLCH BEGRABEN.

Am Hainberg Liegt Ein Dolch Begraben

Der Grund wurde niemals vollständig kartografiert. Es wurde mehrmals probiert, aber alle Versuche sind gescheitert. Dies wird ein Archiv der Projektionen sein.

I. Schichtvulkane/ Scheininseln/ Ultima Thule

Der Standrechner meiner Mutter ist die erste Verbindung des Hauses zum Netz. Das WWW erklingt laut, wenn es in die elfenbeinweiße Tastatur gedrückt wird. Der Weg des Fingers zum Anschlag ist vernehmbar beschwerlich. Das Netzwerkgerät verbleibt dagegen unerkannt in der Stille des Raumes unter dem Dach. Wir sind spät dran. Den Berg hinauf bis zum Waldbeginn sind schon alle verbunden. Die Tasten werden ergrauen mit der Zeit.
Mein Bruder und ich entdecken Google Earth. Wir suchen zu allererst unser Haus. Dann benutzen wir die Zeitreisefunktion. Wir finden uns nicht. Das ganze Dorf ist menschenleer.
Es gibt nur zwei Aufnahmen des Satelliten. Eine ist von 2006 und eine aus dem letzten Jahr. Es ist 2010. Es ist Winter und die Lüftung läuft heiß.
2016 wird eine neue Aufnahme gemacht, 2017 zwei. Die Letzte ist von 2018. Da fährt meine Mutter schon den weißen Golf.

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SEPTEMBER 2021 / WORTMELDUNGEN FÖRDERPREIS SHORTLIST

DORNEN DONNER STOSSGEBET

Dornen

Eine Kindheit lang in den ausgetrockneten Ackerfurchen ohne Furcht. Die Tritte in den Boden, der aufgewirbelte Staub, der sich zum Abend hin legt und uns in Schweigen hüllt. Der Fernseher läuft. Der Ton ist aus. Der Atem geht schwer.

Auf dem Bolzplatz wächst kein Rasen mehr. Es ist zu oft Schützenfest. Das Desinfektionsmittel spült den Schotter aus den aufgeschlagenen Knien. Der Fanfarenzug marschiert durchs Oberdorf. Vom Hang herunter hallt der Tumult. Schüsse durchdringen die Nacht. Es wird nicht dunkel, bevor es Morgen wird.

Mein Fußballtrainer brüllt immer noch Dschin Dschin Dschinghis Khan und haut die Dinger ins Gestrüpp, wo die Dornen die Bälle platzen lassen. Er sagt, wir sollen den Kugeln hinterherjagen. Er sagt auch: Nehmt die Bügeleisen aus den Schuhen – der Kunstrasen schmilzt. Das Geräusch ist einschneidend, wenn das von der Sonne strapazierte Leder auf die spitzen Dornen trifft. Auf dem Rückweg vom Training wirft er die Big-Mac- Schachtel aus dem heruntergekurbelten Fenster. Aber sag das nicht deinem Vater, sagt er. Mein Vater ist bei den Grünen oder wie er sagt: Dann müsst ihr halt zu Fuß laufen.

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